Die Urteile:

 

BVerfG 15.01.2020: Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen Einstellung von Ermittlungsverfahren zu rechtswidriger Fixierung

 

und

 

BGH 15.01.2020: Zwangsbehandlung von Schizophrenie durch Elektrokrampftherapie im Regelfall nicht genehmigungsfähig

 

zeigen:

 

Jetzt ist die Zeit für die sofortige Umsetzung der Europarat-Resolution von 2019 und der Empfehlungen von 2016 der Parlamentarischen Versammlung für Deutschland


20. Februar 2020


Sehr geehrte ...

 

am 15. Januar 2020 gab es zwei höchstrichterliche Entscheidungen gegen psychiatrische Willkür:

1) Das Bundesverfassungsgericht rügte die Einstellung von Ermittlungsverfahren gegen drei Beschuldigte zu einer rechtswidrigen Fixierung als Verletzung des Rechts auf effektive Strafverfolgung. Die Staatsanwaltschaft muss die Ermittlungen gegen einen Amtsarzt (Psychiater), einen Stationsarzt und einen Pfleger wieder aufnehmen.

Quelle:  BVerfG Pressemitteilung zum Beschluss vom 15.01.2020 - 2 BvR 1763/16:
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2020/bvg20-005.html 

2) Der Bundesgerichtshof stellte klar, dass die Zwangsbehandlung von Schizophrenie mittels Elektrokrampftherapie (EKT) im Regelfall nicht genehmigungsfähig ist und gab damit der Beschwerde eines Betroffenen Recht, dem die Schockmethode entgegen den erklärten Willen aufgezwungen werden sollte.

Quelle:  BGH Pressemitteilung zum Beschluss vom 15. Januar 2020 - XII ZB 381/19:
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&nr=103739&linked=pm&Blank=1 

Hinter diesen Beispielen liegen die Schicksale zweier Individuen, die es trotz ihrer Not psychisch, organisatorisch wie auch wirtschaftlich geschafft haben, sich nach einem langen und teuren Klageweg Recht gegen ihre behandelnden Psychiater zu erkämpfen. Die meisten Betroffenen der Psychiatrie schaffen es nicht, so viel Energie, Zeit, Geld und Beharrlichkeit aufzubringen, um einen so langwierigen Rechtsstreit zu Ende zu führen. Als besonders Hilfsbedürftige unserer Gesellschaft sollten sich gerade in Deutschland, heute, Betroffene der Psychiatrie in einem so umfangreichen Rechtsstreit gar nicht durchsetzen müssen. Die Abschaffung von Zwang und Gewalt im Bereich der Psychiatrie muss deshalb, genau wie die Menschenrechtskommissarin des Europarates es im vergangenen Jahr forderte, endlich umgesetzt werden. Die deutsche Nazi-Psychiatrie hat sich millionenfach Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht. Deshalb ist Deutschland, im Vergleich zu allen anderen Ländern dieser Welt, am meisten dazu aufgefordert und verpflichtet, diese Abschaffung von Zwang und Gewalt in der Psychiatrie durchzusetzen.

Am 26. Juni 2019 tagte die Parlamentarischen Versammlung des Europarates in Straßburg zum Thema:
"Ende des Zwangs in der Psychiatrie: die Notwendigkeit eines menschenrechtsbasierten Ansatzes".

Die Menschenrechtskommissarin des Europarates, Dunja Mijatović, gab in ihrer Rede unter dem Titel
"Es ist an der Zeit, den Zwang in der Psychiatrie zu beenden" hierzu folgende Erklärung ab:
(Übersetzung aus dem Englischen von zwangspsychiatrie.de)

"Es ist mir eine große Freude, vor der Parlamentarischen Versammlung zu einem Thema zu sprechen, das mir sehr am Herzen liegt.

Zunächst möchte ich die großartige Arbeit der Berichterstatterin für den Ihnen heute vorliegenden Bericht begrüßen. (Doc. 14895 vom 22. Mai 2019) Ich stimme ihren Feststellungen und Schlussfolgerungen sowie dem Inhalt des Entschließungs- und Empfehlungsentwurfs voll und ganz zu.

Meine Erfahrung als Ihre Menschenrechtskommissarin hat diese Feststellungen und die Teufelskreise, die durch einen auf Zwang basierenden Ansatz der Psychiatrie verursacht wurden, nur bestätigt.

Ich habe zum Beispiel aus erster Hand gesehen, wie der Mangel an gemeinschaftsbasierten, freiwilligen Dienstleistungen im Bereich der psychischen Gesundheitsversorgung zu noch mehr Zwang und Freiheitsentzug führt. Dies verursacht enormes Leid für die betroffenen Menschen, was der Gesellschaft große Kosten verursacht.

Ich habe gesehen, wie ein auf Zwang basierendes psychisches Gesundheitssystem die Isolation genau der Personen aufrechterhält, die die Unterstützung ihrer Gemeinschaft am meisten benötigen, was wiederum mehr Stigmatisierung und irrationale Angst schürt.

Ich habe gesehen, wie die angeblichen Schutzmaßnahmen zum Schutz von Menschen mit psychosozialen Behinderungen vor Willkür auf reine Formalitäten reduziert werden. Denn diese Garantien funktionieren in einem Rechtssystem, in dem diese Personen nicht einmal eine Chance haben, sich Gehör zu verschaffen. Im schlimmsten Fall bewirken solche Schutzmaßnahmen wenig mehr, als denjenigen ein gutes Gewissen zu geben, die tatsächlich an Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind.

Was Zwang in der psychischen Gesundheit letztlich tut, ist, diejenigen zum Schweigen zu bringen und zu isolieren, die bereits an psychischen Erkrankungen leiden. Entscheidend ist, dass es unsere Fähigkeit verringert, zuzuhören und auf ihre Bedürfnisse zu reagieren.

Historisch gesehen waren Ablehnung und Isolation unsere Standardreaktion auf Menschen mit psychosozialen Behinderungen. Diese tief verwurzelte Angst ist in uns immer noch sehr stark und schürt das Vorurteil, dass sie automatisch eine Gefahr für sich selbst und für die Gesellschaft sind, entgegen aller verfügbaren gegenteiligen statistischen Beweise.

Die Berichterstatterin weist darauf hin, dass es nicht genügend wissenschaftliche Beweise gibt, um den Nutzen von Zwang bei der Verringerung des Schadens zu belegen, während es zahlreiche Beweise für den – und manchmal irreparablen – Schaden gibt, den unfreiwillige Unterbringung und Behandlung bei den Patienten verursachen können.

Es gibt auch Hinweise darauf, dass der Rückgriff auf Zwang oft mehr mit Gewohnheit, einer Kultur des Wegsperrens und dem Fehlen von Alternativen als mit therapeutischer Notwendigkeit zu tun hat. ...

Die Berichterstatterin selbst verweist auf die negativen Auswirkungen unfreiwilliger Maßnahmen auch auf die Dienstleistungserbringer.
Es gibt Dienstleister für Menschen mit Behinderungen, die die Zwangsausübung stoppen wollen, aber keine Alternativen haben oder nicht kennen.
Ich stimme mit der Berichterstatterin und dem Ausschuss für soziale Angelegenheiten, Gesundheit und nachhaltige Entwicklung darin überein, dass ein System der psychischen Gesundheit, das einen menschenrechtsbasierten Ansatz vollständig integriert, der beste Weg ist, Menschenrechtsverletzungen in Zukunft zu vermeiden.

Dies erfordert, dass wir die Stimmen, manchmal widersprüchliche Stimmen, von Menschen mit psychosozialen Behinderungen respektieren, die auch Patienten sind.

Wir sollten ihre Geschichten hören und nicht nur auf die Psychiater oder Richter hören, die Entscheidungen treffen, um sie ihrer Freiheit zu berauben und sie gegen ihren Willen zu behandeln, auch wenn sie davon überzeugt sind, dass diese Entscheidungen angeblich im besten Interesse der Personen liegen. Wir sollten auch sorgfältig auf die Lösungen hören, die die Patienten vorschlagen, und auf die Wünsche, die sie in Bezug auf die Dienstleistungen im Bereich der psychischen Gesundheitsversorgung äußern.

Wir sollten unsere Annahmen in Frage stellen, wie ein System der psychischen Gesundheit funktionieren sollte. Ich finde die Erwähnung in dem Bericht von so vielen erfolgreichen und vielversprechenden Praktiken wie dem Offenen Dialog zur akuten Psychose, mobilen psychiatrischen Einheiten oder Vorabrichtlinien sehr ermutigend. ...

Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD) ist eine der größten Errungenschaften der letzten Jahre in Bezug auf die Menschenrechte. Es war das Ergebnis einer unermüdlichen Kampagne von Menschen mit Behinderungen, einschließlich psychosozialer Behinderungen, um sich Gehör zu verschaffen. Was sie sagen, ist vollkommen rational und auf Menschenrechten beruhend: Sie sagen, dass sie gleich behandelt werden wollen und nicht aufgrund ihrer Behinderung diskriminiert werden wollen.

Es ist vor allem der CRPD zu verdanken, dass wir jetzt diese Debatte führen und uns der tief verwurzelten Diskriminierung stellen, die in unsere Rechts- und psychischen Gesundheitssysteme eingebaut ist.

Damit komme ich zum Thema des Empfehlungsentwurfs, der Ihnen heute vorgelegt wurde, und der Rolle des Europarats. ... Es ist an der Zeit, dass der Europarat einen ganzheitlicheren Ansatz für die Rechte von Menschen mit psychosozialen Behinderungen, einschließlich ihres Rechts auf (geistige) Gesundheit, verfolgt. Die Europäische Menschenrechtskonvention kann nicht als einziger und ultimativer Maßstab in der Frage der unfreiwilligen Unterbringung und Behandlung von Menschen mit psychosozialen Behinderungen angesehen werden, da die CRPD viel aktuellere und umfassendere Standards über die Rechte von Menschen mit psychosozialen Behinderungen eingeführt hat.

Ich unterstütze voll und ganz den Empfehlungsentwurf an das Ministerkomitee, die Ausarbeitungsbemühungen statt auf ein Zusatzprotokoll nun auf Leitlinien zur Beendigung von Zwang im Bereich der psychischen Gesundheit umzulenken. Ich glaube, dass dies uns die Gelegenheit geben könnte, unsere Standards endlich ins 21. Jahrhundert zu bringen, wenn es um dieses sehr komplexe Thema geht.

Es ist unsere Pflicht, unsere Mitgliedstaaten zu ermutigen und zu unterstützen, einen menschenrechtsbasierten Übergang ihrer Systeme der psychischen Gesundheit einzuleiten, um den Zwang zu verringern und zu beenden, was längst überfällig ist. Wir müssen heute beginnen, wir müssen jetzt beginnen."

Quelle:  Rede von Dunja Mijatović, Menschenrechtskommissarin,
vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates am 26.06.2019:
https://www.coe.int/en/web/commissioner/-/it-is-time-to-end-coercion-in-mental-health 

Vor diesem Hintergrund und ganz besonders auch vor dem Hintergrund der Geschichte der Psychiatrie in Deutschland fordern wir Sie auf, ein bedeutendes Exempel für das 21. Jahrhundert zu statuieren und Zwang in der Psychiatrie ein für alle mal abzuschaffen und zu verbieten.

Mit freundlichen Grüßen

Andreas Quitt

Kommission für Verstöße der Psychiatrie
gegen Menschenrechte Deutschland e.V.
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80802 München

Tel.: 089 - 273 03 54, Fax: 089 - 28 98 67 04
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