Ende der psychiatrischen Narrenfreiheit?

Niederländische Regierung verbietet Elektroschocks und Psychochirurgie

 

München, den 27. 4. 1979

 

Während in der Bundesrepublik hirnschädigende Elektroschocks- und persönlichkeitsverändernde psychochirurgische Eingriffe noch immer ungestraft zum psychiatrischen "Therapierepertoire" gehören, hat jetzt die niederländische Regierung in Den Haag die sprichwörtliche Narrenfreiheit der Psychiatrie beendet. Nach einem Regierungsbeschluss sind Schockbehandlungen und die Persönlichkeit verändernde Gehirnoperationen an Patienten in psychiatrischen Anstalten gestoppt worden. Auch Sterilisierungen fallen unter das Verbot. Dies teilte jetzt die "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V." (Sitz München) mit, die sich schon seit Jahren für eine ähnliche Gesetzgebung in der Bundesrepublik einsetzt.

 

Wesentlichen Anteil an diesem im Hinblick auf den Schutz der Menschenrechte psychisch Kranker bisher einmaligen Schritt der Regierung in Den Haag hatte die niederländische Schwestergesellschaft der Kommission "Netherlands Commitee for de Rechtens van de Mens" (Niederländisches Komitee für Menschenrechte). Von dem Komitee wurde beispielsweise der Einsatz von Schockbehandlungen für Strafzwecke nachgewiesen und eine Petition mit 10 000 Unterschriften für ein Verbot des Elektroschocks dem Gesundheitsministerium vorgelegt. Der Kommission in München bestätigte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums in Den Haag auf Anfrage, dass der Regierungsbeschluss in Kürze gesetzlich verankert wird.

 

Aber auch in anderen Ländern sind Bestrebungen für die Verbesserungen der Rechte psychisch Kranker im Gange. So will der österreichische Justizminister Christian Broda in einer Novelle zur Entmündigungsordnung die "unwürdige Entmündigung" abschaffen. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats stellt in einer "Empfehlung über die Lage der Geisteskranken" fest: "Viele möchten nicht mehr dieselben Leiden auf sich nehmen, die sie in psychiatrischen Anstalten erlebt haben und begehen dann Selbstmord". Nach einem in Italien verabschiedeten Gesetz werden die öffentlichen Nervenheilanstalten aufgelöst. Wie die internationale Fachzeitschrift "New Scientist" (Nr. 1141/79) kürzlich berichtete, müssen sich vor einem Gericht in Boston die beiden prominenten amerikanischen Psychochirurgen Vernon Mark und Frank Ervin dafür verantworten, aus einem Mann einen geistigen Krüppel gemacht zu haben. Nach Aussagen eines Gerichtsgutachters ist der Patient nach dem psychochirurgischen Eingriff "absolut abhängig und unfähig, im Alltag zu überleben". Der Prozess ist auf einen Streitwert von zwei Millionen Dollar angesetzt. Die beiden Psychochirurgen hatten den Eingriff bei dem Patienten zuvor in einem Buch als Erfolg beurteilt.

 

Angesichts des beispielhaften Beschlusses der niederländischen Regierung und der in anderen Ländern erzielten Fortschritte ist es geradezu beängstigend, dass bundesdeutsche Psychiater sich offen für eine Renaissance von Elektroschock und Psychochirurgie aussprechen. Deshalb will die "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V." jetzt bei den zuständigen Regierungsstellen und Gesundheitspolitikern noch massiver darauf hinwirken, dass Patienten vor der "Heilung aus der Steckdose" und den "Seelenoperationen" gesetzlich geschützt werden. Denn mit halbherzigen Erklärungen, wie bisher, können derartige Eingriffe in die körperliche und geistige Unversehrtheit von psychisch Kranken nicht mehr rückgängig gemacht werden.

 

 

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Die KVPM wurde 1972 in München von Mitgliedern der Scientology Kirche gegründet und gehört zum weltweit größten Netzwerk zur Aufdeckung von Missbräuchen in der Psychiatrie.