Symposium: "Psychiatrie und Holocaust"
München, den 23. 11. 1979
In- und ausländische Experten und Publizisten verurteilten auf einem Symposium über "Die Gefahren eines neuen psychiatrischen Holocaust" in München die traditionellen und noch immer gegenwärtigen Missbräuche in der Psychiatrie. Der Begriff "Holocaust" steht, so wurde betont, mittlerweile symbolisch für "totalitäre Anmaßungen von Machtgruppen, resultierend in der Unterdrückung der Grundrechte von gesellschaftlichen Minderheiten". Dass dadurch vor allem psychisch Kranke betroffen sind, brachten alle Referenten der von der "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V" veranstalteten Konferenz übereinstimmend zum Ausdruck.
Durch eine Grußbotschaft, die der wegen plötzlicher Krankheit verhinderte Leiter des jüdischen Dokumentationszentrums in Wien, Dr. h. c. Simon Wiesenthal, an die Teilnehmer der Konferenz übermittelte, wurde gleich zu Beginn deutlich, welche bislang kaum erkannte Gefahr von pseudowissenschaftlichen psychiatrischen Theorien ausgeht. Der 70jährige Wiesenthal, der während des Hitler-Terrors fünf Konzentrationslager durchlitt, begrüßte das Vorhaben, über den Missbrauch der Psychiatrie gegen Menschenrechte zu konferieren "von ganzem Herzen" und zeigte auf, dass sich solche Missbräuche nicht ausschließlich auf Diktaturen beschränken: "Wissenschaftler oder Pseudowissenschaftler im Dienste einer Diktatur haben in der Geschichte viel Unheil angerichtet. Nazi-Deutschland hat für einen längeren Zeitraum die Diskriminierung von Minderheiten, wie Zigeuner, Slaven und Juden mit Hilfe pseudowissenschaftlicher Theorien betrieben, durch die unliebsame Elemente als Untermenschen abgestempelt wurden. Der Weg zu ihrer Vernichtung war dann frei. Diese Möglichkeit, manchmal auf juristische Weise auch in Demokratien Kritiker zu bekämpfen, bedeutet eine große Gefahr für jeden Einzelnen, praktisch jeder von uns kann dieses Schicksal erleiden, wenn sein Gegner nur mächtig genug ist."
Der Arzt und Universitätsprofessor Dr. Alfred Schroedter berichtete in diesem Zusammenhang, dass ihm eine Anzahl von gravierenden Fällen vorliegen, wie Menschen hinter den Mauern psychiatrischer Anstalten verschwanden, "deren einziges Verbrechen darin bestand, dass sie auf die Wahrung ihrer Grundrechte beharrten, dass sie Mitmenschen oder Gesellschaftsgruppen unangenehm waren, weil sie sich zum Beispiel dem Machtmissbrauch einer Behörde widersetzten".
Als unmittelbar Betroffener kritisierte der als Sozialanwalt bekannte Dr. Günter Weigand die psychiatrische Willkür. Er selbst, der durch ein Falschgutachten unschuldig in die Mühlen der Psychiatrie geraten war, brauchte 15 Jahre, um sich vom Makel der Geisteskrankheit endgültig zu befreien und durch einen Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht wenigstens 13000 Mark Schadensersatz zu erkämpfen. Er wandte sich auch gegen die Diffamierung beziehungsweise Pathologisierung religiöser Überzeugung als "sektiererisch" oder dergleichen. Ohne religiöse Fundierung gäbe es nämlich keine unantastbare Menschenwürde.
Mit dem international renommierten PEN-Schriftsteller Theodor Weißenborn stellte sich ein engagierter Sprecher von sozial Diskriminierten vor. Durch sein Referat "Warum ich nicht arbeitslos werde" wies er nach, dass die Deklassierung des psychisch Kranken als Außenseiter eine Inhumanität verrät, "mit der unsere sich so sozial dünkende Gesellschaft große Gruppen ihrer Mitglieder, sobald sie in irgendeiner Weise von der Norm abweichen, als minderwertig abstempelt, verstößt und vergisst - eine Gesinnung, die unser aller Verhalten mehr bestimmt, als wir wahrhaben wollen und als uns lieb ist."
Der Mediziner Dr. Werner Vogt von der Arbeitsgemeinschaft für kritische Medizin" (Wien) argumentierte "gegen das Fortschreiten des Gewaltprinzips im Bereich der Bewältigung psychischer und sozialer Probleme". Er verblüffte mit einer schonungslosen Aufdeckung der Diskrepanz zwischen der heilen psychiatrischen Scheinwelt aus den Lehrbüchern und der grausamen Realität in den Anstalten. Er beschrieb, wie unter dem"künstlichen, sternenübersäten Firmament des großen Psychiatriehörsaales ein Professor kunstvoll Krankheitsabläufe analysiert und Heilmethoden erörtert und damit den Eindruck vermittelt, als hätte man die psychiatrische Sache im Griff, als wäre man im Besitz von Heilungsraten wie Chirurgen, Internisten, Kinderärzte, wie die Medizin sonst auch. Dr. Vogt schloss mit dem Aufruf, "Widerstand zu leisten gegen geschlossene Anstalten, geschlossene Abteilung, die Entmündigung, die lebenslange behördliche Registrierung". Zehntausende Patienten hätten unter diesen Gewaltmaßnahmen gelitten. Es sollte verhindert werden, dass weitere zehntausende darunter nutzlos leiden werden. Widerstand bedeute hier tausendfache Hilfe.
In einem Resümee des Symposiums appellierte Edith von Thüngen, Vorstandsmitglied der veranstaltenden Kommission, an die im gesundheits- und sozialpolitischen Bereich Tätigen und Verantwortlichen, dass auch "in der Bundesrepublik die Praktiken der Psychiatrie durch vielfach schärfere Kontrolle, Wachsamkeit über Statistiken und Finanzen und durch eine entsprechende Gesetzgebung soweit korrigiert werden, dass diese sich wirklich nur um die Genesung von psychisch Kranken kümmere. Denn wie das Symposium zeigte, richteten psychiatrische Übergriffe in Lebens- und Gesellschaftsbereiche, wie Politik und Religion, schon einmal viel Unheil an." Abhilfe müsse auf der Basis der Menschenrechtsdeklarationen und des Grundgesetzes geschaffen werden.
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Die KVPM wurde 1972 in München von Mitgliedern der Scientology Kirche gegründet und gehört zum weltweit größten Netzwerk zur Aufdeckung von Missbräuchen in der Psychiatrie.