Elektroschock - wie lange noch mit Starkstrom gegen psychische Defekte?
München, den 22. 6. 1977
Ende November letzten Jahres wurde Anna P. mit einer Depression in eine Nervenklinik eingeliefert. Knapp zwei Monate später war die Patientin tot. Sie hatte sich drei Tage nach der Entlassung aus dem Fenster ihrer Wohnung gestürzt. Die Behandlung: An drei aufeinanderfolgenden Tagen hatte sie Elektroschocks erhalten. Danach wirkte sie aufgekratzt und wandelte euphorisch, ohne ersichtlichen Grund fröhlich kichernd, durch die Gänge der Klinik. Für die verantwortlichen Psychiater, die sie anschließend entließen, offenbar ein Anzeichen von überraschender Heilung.
Auf diesen tragischen Selbstmordfall - übrigens nicht so selten trauriges Resultat der "Heilung aus der Steckdose" - wies jetzt die bundesweit vertretene "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V." (Sitz München) hin. Sie will damit erneut die Gefahren dieser psychiatrischen Behandlungsmethode verdeutlichen und hält ein gesetzliches Verbot der Starkstromtherapie für unerlässlich.
Diese Forderung basiert nach Angaben der Kommission auf bekannt gewordenen Schäden, die strombehandelte Patienten erlitten haben, aber auch auf Arbeiten von renommierten Wissenschaftlern aus dem In- und Ausland. So steht beispielsweise für den amerikanischen Neurologen Dr. John Friedberg, Autor des vor Kurzem erschienen Buches "Shock Treatment is not good for your Brain" (Schockbehandlung ist nicht gut für Ihr Gehirn), fest: "Als Folge der Elektrokrampfbehandlung treten irreversible strukturelle Hirnveränderungen auf, die sich bei den 'Behandelten vor allem in Form von mehr oder weniger massiven Gedächtnisstörungen bemerkbar machen". In der Schockliteratur stieß Dr. Friedberg auf "Verwässerte Ergebnisse". Er hofft jedoch, dass es dieser Literatur so ergehen wird, wie den Arbeiten die für die Lobotomie - ein psychochirurgischer Hirneingriff, mit dem vornehmlich in den USA und England über 100 000 Menschen verstümmelt wurden - plädieren, "man wird dem nicht mehr glauben".
Der Erdenker der elektrischen Schockbehandlung, Ugo Cerletti, Professor für Psychiatrie an der Universität Rom, vertraute an seinem Lebensabend einem Kollegen an, als er sich erinnerte, wie er seine "Therapie" 1938 zum ersten Mal an einem Menschen ausprobiert hatte: "Als ich die Reaktion des Patienten sah, dachte ich im Stillen: Das müsste verboten werden". Die Kommission will alles im Rahmen ihrer Möglichkeiten liegende tun, um Prof. Cerlettis Wunsch nachträglich zu erfüllen. Denn nur ein gesetzliches Verbot wird verhindern können, dass psychisch Kranke der unmenschlichen Starkstromtherapie unterworfen werden.
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Die KVPM wurde 1972 in München von Mitgliedern der Scientology Kirche gegründet und gehört zum weltweit größten Netzwerk zur Aufdeckung von Missbräuchen in der Psychiatrie.