Ende der Psychochirurgie in Sicht
München, den 4. 3. 1977
Die seit Jahren von namhaften Wissenschaftlern und Menschenrechtsvertretern heftig kritisierten psychochirurgischen Gehirnoperationen geraten immer mehr unter Beschuss. Nun befasst sich auch der Gesetzgeber mit den umstrittenen Gehirneingriffen. Das Bundesgesundheitsamt (Berlin) setzt jetzt im Auftrag des Bonner Gesundheitsministeriums eine "Psychochirurgie-Kommission" ein, die sich mit der Zulässigkeit derartiger Eingriffe - vor allem bei Sexualstraftätern und Süchtigen - beschäftigen wird, d.h. Psychochirurgie ja oder nein.
Zu den härtesten Kritikern der "Seelenoperationen" - wobei Gehirngewebe zur Korrektur abweichenden Verhaltens irreversibel zerstört wird - zählt neben den deutschen Sexualforschern die "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V." (München), die im August letzten Jahres in einer Stellungnahme an das Bundesministerium für Familie, Jugend und Gesundheit auf die Gefahren der Psychochirurgie, insbesondere bei Eingriffen an Sexualtätern und Süchtigen, hinwies. Dabei wurde betont, dass bei Straftätern, die vor der Alternative jahre- oder lebenslanger Verwahrung oder baldiger Freiheit stehen, von einer freiwilligen Zustimmung zur Gehirnoperation keine Rede mehr sein kann. Hierzu Aufschluss gibt eine diesbezügliche Stellungnahme einer Anstaltspsychologin: "Unsere Arbeit läuft meist darauf hinaus, den Straftäter zu der Einsicht zu bringen: Wenn ich raus will, muss ich mich operieren lassen. Von einer freiwilligen Entscheidung kann da gar keine Rede sein". Dazu kommt, dass von einem Psychochirurgen sogar offen zugegeben wird, dass bei nicht geschäftsfähigen Aggressiven, Imbezilen und Idioten, auch ohne deren Zustimmung operiert wurde. Die Kommission verwahrt sich besonders gegen den deutlichen Experimentalcharakter der Psychochirurgie, der bei den an Süchtigen durchgeführten Gehirnoperationen offenkundig wird. Denn nicht einmal die Chirurgen sind sich einig, wo das sogenannte Suchtzentrum" im Gehirn zu finden ist, wodurch der mangelnde Beweis der Existenz solcher Zentren erkennbar wird. Zum gegebenen Zeitpunkt will die Kommission eine offizielle Beschwerde an die zuständige Menschenrechtsvertretung des Europaparlaments richten, da medizinische Experimente eine völlig unentschuldbare Einschränkung der Patientenrechte bedeuten. Außerdem ist zu befürchten, dass aus Kosten sparenden Gründen vorschnell operiert wird, ohne andere unter Umständen aufwendigere, aber weniger gefährliche Therapiemethoden zur Suchtbefreiung zur Anwendung zu bringen.
Psychochirurgie stößt in vielen Ländern bereits auf breite Ablehnung. So wurde kürzlich bekannt, dass der Gesundheitsminister des australischen Bundesstaates New South Wales über eine Fernsehsendung (7.2.77) zum Thema "Psychochirurgie" entsetzt war. Es war von 3 Patienten berichtet worden, die nach gehirnoperativen Eingriffen Selbstmord verübten. Unmittelbar nach der Sendung erließ der Minister ein Verbot, das sämtliche Eingriffe untersagt, außerdem leitete er eine volle Untersuchung ein. Der Premierminister dieses Bundesstaates kommentierte den Fernsehbericht: "Ich war erschüttert. Dies scheint ein unglaublicher Zustand zu sein - eine unmittelbare Aufklärung muss erfolgen".
Der bekannte amerikanische Psychiatrieprofessor Dr. Szasz stieß bei Untersuchungen darauf, dass an vielen Patienten der Psychochirurgie nur operiert wurde, um eine Veränderung depressiven Verhaltens zu erzielen, da die Patienten als selbstgefährlich und somit suicidgefährdet angesehen wurden. Um eine Vergleichsmöglichkeit herzustellen, offenbarte Prof. Szasz eine wenig bekannte Tatsache: "Die höchste Selbstmordrate des Westens findet man unter Psychiatern, aber komischerweise ist kein Fall bekannt, wo sich ein Psychiater einer Operation unterzog".
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf vertrat 1976 im Hinblick auf Psychochirurgie folgenden Standpunkt: "Wenn man die weit divergierenden Meinungen betrachtet, die innerhalb der Medizin im Hinblick auf die Rechtfertigung oder andererseits bezüglich der Psychochirurgie bestehen, ebenso die Unsicherheit der Resultate und das Fehlen einer soliden theoretischen Grundlage, dann sind solche Eingriffe zumindest ethisch gesehen zweifelhaft."
Die Kommission setzt starkes Vertrauen in die Tätigkeit der vom Bundesgesundheitsamt konstituierten Sonderkommission und hofft, dass die Arbeit bald Früchte trägt. Sollte es in Berlin jedoch zu keiner klaren Entscheidung kommen, behalten sich die Münchner Menschenrechtsverfechter weitere Schritte vor, um einen wirklichen Schutz für die gefährdeten Patienten durchzusetzen.
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Die KVPM wurde 1972 in München von Mitgliedern der Scientology Kirche gegründet und gehört zum weltweit größten Netzwerk zur Aufdeckung von Missbräuchen in der Psychiatrie.