Die Zustände in der neuen "Burg" sind unerträglich!


München, den 8.11.1976

 
Politiker werden eingeschaltet


Vor etwa einem Monat wurde im Bezirkskrankenhaus Haar (Landkreis München), dass mit einem Kostenaufwand von 2,2 Millionen Mark renovierte Haus 21, die sogenannte "Burg" von den Patienten, psychisch kranken Rechtsbrechern, bezogen. Zuvor hatte es öffentliche Kritik und harte politische Auseinandersetzungen wegen der unzulänglichen Unterbringung der psychisch kranken Rechtsbrecher gegeben. Doch wie die Münchner "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V." jetzt mitteilt, wurden durch den kostspieligen Umbau der "Burg" die Probleme von den Verantwortlichen, dem Bezirkstag von Oberbayern, keineswegs gelöst, vielmehr ist "die Situation für die Patienten unerträglich geworden".

 

Ein Sprecher der Kommission dazu wörtlich: "In den ersten Wochen nach dem Umzug meldeten sich bei uns entrüstete Angehörige von "Burginsassen", die sich bitter über die unmenschlichen und jede Chance auf Rehabilitierung von vornherein ausschließenden Zustände beklagten, wie sie die Patienten jetzt in der neuen "Burg" antreffen. Obwohl alle Vorwürfe der Angehörigen in den wesentlichen Punkten völlig übereinstimmten, entschlossen wir uns trotzdem die Aussagen genauestens zu überprüfen; das Ergebnis dieser Untersuchungen war erschütternd".

 

Rehabilitierung durch Tütenkleben?


Nachdem die psychisch kranken Rechtsbrecher in das renovierte Gebäude eingezogen waren, ließ der Bezirkstagpressesprecher, Ferdinand Gruber wissen: "Es ist extra ein Neubau errichtet worden, in dem Einrichtungen für die Arbeits- und Beschäftigungstherapie untergebracht sind. Dazu kommen noch kleinere Stationen und Pflegegruppen". Diese Aussage steht allerdings im krassen Widerspruch zu den Aussagen von Patientenangehörigen und den Ermittlungen der Menschenrechtskommission. Sie konnte in Erfahrung bringen, dass bis zum heutigen Tag als "Therapie" das Kleben von Weihnachtstüten angeboten wird. Mit bis zu 20 Mark in der Woche werden die Patienten für diese Arbeit entlohnt. Es wäre interessant von den verantwortlichen Psychiatern zu erfahren, wie die Rehabilitierung aussieht, die mit dieser "Tütenklebetherapie" bei den psychisch Kranken erreicht werden soll. Denn würde es sich bei den in der "Burg" untergebrachten Rechtsbrechern nicht um psychisch Kranke handeln, könnten sie ebenso gut eine Gefängnisstrafe verbüßen.

 

Gibt es für 74 Patienten wirklich 35 Pfleger?


Stolz verkündete die Bezirkstagpressestelle nach dem Umzug in die neue "Burg", dass für 74 kriminelle Geisteskranke 35 Pflegekräfte vorhanden sind. Auf den ersten Blick man hier einen ausgezeichneten Pfleger Patienten-Schlüssel anzutreffen. Doch wie die Kommission herausfand, sind für die 74 Patienten, die in den beiden Stockwerken der "Burg" verteilt sind, bestenfalls 5 Pfleger in einer Schicht anwesend. Dass damit die Betreuung der Patienten, die sich von 7 Uhr früh bis 19 Uhr bzw., 22 Uhr abends in einem Tagesraum aufhalten müssen (jeweils über 30 Kranke in einem Saal), nicht ausreichend sein kann, sondern nur ein "Verwahren" der Patienten möglich ist, liegt nach Ansicht der Kommission "auf der Hand".

 

Wozu die nächtliche Flutlichtbeleuchtung?


Bei der Renovierung des Hauses 21 legten die Bezirkstagverantwortlichen größten Wert auf Sicherheitsmaßnahmen, denn wie Bezirkstagvizepräsident Rudolf Gütlein sich ausdrückte, "besteht die Öffentlichkeit mit Recht darauf, dass bei der Unterbringung von kriminellen Geisteskranken der Schutz der Bevölkerung absoluten Vorrang vor den Therapiemaßnahmen der Ärzte haben muss". Dagegen wäre im Grunde nichts einzuwenden, wenn man, so die Kommission, die Therapiemaßnahmen vor lauter Sicherheit überhaupt nicht mehr beachtet hätte. So aber muss man sich fragen, was z. B. das mehrmalige nächtliche Anschalten der gesamten Flutlichtbatterie, wobei die "Burg" jedes Mal in gleißend helles Scheinwerferlicht getaucht wird, bezwecken soll? Diese Maßnahme ist dem Schlaf der Patienten sicherlich nicht förderlich, wie Angehörige von Insassen berichteten, und hat auch bestimmt nichts mit Sicherheit zu tun. Verwunderlich ist außerdem, dass das Flutlicht ja nur im Notfall eingeschaltet wird, wie nach wie vor offiziell beteuert wird.

 

Die Kommission wendet sich an Politiker


Um den "unerträglichen Zuständen" wirksam zu begegnen, wendet sich die Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V. jetzt an diejenigen Politiker, von denen Hilfe zu erwarten ist. Am vergangenen Donnerstag (4.11.76) führte ein Vertreter der Kommission ein erstes Gespräch mit dem FDP-Landtagsabgeordneten Dr. Fritz Flath. Der Abgeordnete teilte mit, dass am selben Tag ein von ihm eingebrachter Antrag, indem er den Landtag ersucht hatte, von der Staatsregierung einen Bericht über die Unterbringung geisteskranker Rechtsbrecher erstellen zu lassen, vom Ausschuss für Sozial-, Gesundheits- und Familienpolitik abgelehnt worden war. Dr. Flath sagte wörtlich: "Die Begründung zur Notwendigkeit einer ausführlichen Berichterstattung ist gegeben - zusammen mit dem Bezirkstagpräsidenten Georg Klimm und seinen Fraktionskollegen aus dem Bezirkstag besichtigte Dr. Flath die "Burg" am Dienstag (2.11.76) letzter Woche -, nachdem ich durch Augenschein und Gespräche feststellen konnte, dass der Antrag voll gerechtfertigt ist. Ich bedauere es, dass die CSU abgelehnt hat. Ich behalte mir vor, den Antrag zu gegebener Zeit neuerlich ausführlich zu begründen". Mit der FDP-Bezirkstagfraktion hat die Kommission schon einen Gesprächstermin vereinbart, auch mit den SPD-Bezirkspolitikern soll in den nächsten Tagen Kontakt aufgenommen werden. Durch die Intervention bei diesen Politikern hofft die Kommission den psychisch kranken Rechtsbrechern zu einer menschenwürdigen Unterbringung zu verhelfen, bei der auch eine Rehabilitierung durch zeitgemäße Therapiemaßnahmen möglich sein wird.

 

 

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Die KVPM wurde 1972 in München von Mitgliedern der Scientology Kirche gegründet und gehört zum weltweit größten Netzwerk zur Aufdeckung von Missbräuchen in der Psychiatrie.