Elektroschockschäden werden überprüft


München, den 14. 12. 1976

 

Die Münchner "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V." sieht es als eine ihrer wichtigsten Aufgaben an, die unmenschliche Elektroschockbehandlung aus den psychiatrischen Krankenhäusern zu verbannen, nachdem sie erst kürzlich mittels einer Umfrage festgestellt hatte, dass nach wie vor in über 70% der deutschen Heil- und Pflegeanstalten die "Heilung aus der Steckdose" zum Therapieprogramm gehört. Gegenwärtig überprüft die Kommission Unterlagen von Personen, die durch die Behandlung mit dieser "unspezifisch robusten" Schockmethode - wie sie jüngst von einem Psychiater bezeichnet wurde - Schäden davontrugen.

 

Ein Betroffener berichtet: "Ich befand mich 1969 wegen Depressionen in einer psychiatrischen Klinik und wurde anfangs mit hohen Dosen Psychopharmaka behandelt, aber dadurch veränderte sich mein Zustand nicht. Der Psychiater erklärte mir dann, dass Elektroschocks am schnellsten helfen würden - dabei könnte lediglich eine vorübergehende Gedächtnisstörung auftreten und ich willigte ein. Ich bekam dann 9 Elektroschocks, nach den ersten zwei fühlte ich mich etwas besser, aber sobald ich einen anderen Patienten sah, waren die Depressionen wieder da; die nächsten 7 Schocks waren völlig wirkungslos. Unter den Depressionen leide ich heute noch, nach den Schockbehandlungen stellten sich zunehmend Gedächtnisstörungen ein, weshalb ich bald meinen guten Arbeitsplatz verlor. Auch Erinnerungslücken traten auf und mein Gefühlsleben ist erheblich gestört, meine Frau hat sehr darunter zu leiden. Ein Rechtsanwalt riet mir den Psychiater auf Schadensersatz und Schmerzensgeld zu verklagen, aber es fand sich kein Nervenarzt, der bereit gewesen wäre ein Gutachten zu erstellen. Sie erklärten alle, dass die Elektroschockbehandlung indiziert sei, wenn Psychopharmaka ohne Erfolg bleiben."

 

Eine Frau schreibt an die Kommission: "Nach einem Nervenzusammenbruch im Jahre 1953, wurde ich in das Bezirkskrankenhaus Haar bei München eingeliefert und bekam dort 8 Elektroschocks. Als ich nach einem der Schocks aufwachte, glaubte ich, dass ich gestorben bin. Im Bett neben mir lag eine alte Frau, die ich fragte, an was sie gestorben sei. Sie erschrak wegen dieser Frage so sehr, dass sie sofort nach einer Schwester läutete und man gab mir gleich wieder einen Elektroschock ...". Derlei Enthüllungen machen auch die Abneigung des inzwischen Verstorbenen ehemaligen Anstaltsdirektor von Haar, Prof. Dr. Anton von Braunmühl, gegen Presseberichte über die Schockbehandlung verständlich. Er schrieb 1957: "Selten misslich ist die nicht zu unterschätzend: Beeinflussung der Patienten durch eine Presse, die sich seit Jahr und Tag darin gefällt, darzustellen und eindringlich zu beschreiben, wie es bei der Elektroschockbehandlung zugehe".

 

Die ausführlichen Recherchen der Kommission ergaben weiter, dass es um Schädigungen, die durch Elektroschockbehandlungen verursacht wurden, auch schon gerichtliche Auseinandersetzungen gab. So wurde beispielsweise vom Bundesgerichtshof in einem Urteil vom 10.5.1966 einer geschädigten Patientin ein Schmerzensgeld in Höhe von 25 000 Mark zuerkannt (AZ VI ZR 251/64).

 

Aus der Fachliteratur geht hervor, dass es an Kritikern der Schockbehandlung zu keiner Zeit fehlte. Der gegenwärtig wohl Bekannteste von ihnen ist der prominente amerikanische Psychiatrieprofessor Dr. Thomas S. Szasz. Er äußert sich zum Elektroschock: "Die Schockbehandlung ist eine Barbarei. Ich habe sie nie benutzt und werde sie niemals benützen. Ich würde nicht einmal im Traum daran denken sie zu empfehlen".

 

Als "Begründer" der Elektroschockbehandlung gilt der Italiener Dr. Ugo Cerletti. In seinem Protokoll über sein erstes Stromexperiment am Menschen, das er am 15. April 1938 durchführte, schrieb er: "Zwei Elektroden wurden am Gehirn an den Stirnseiten des Kopfes angelegt und ich entschloss mich, mit einer niederen Spannung von 80 Volt für rund 0,2 Sekunden zu beginnen. Sobald der Strom eingeschaltet war, reagierte der Patient mit einem Aufbäumen und seine Körpermuskulatur verkrampfte sich, dann fiel er zurück auf das Bett ohne das Bewusstsein zu verlieren. Er begann abrupt in den höchsten Stimmlagen zu singen und wurde dann still. Natürlich standen wir, die das Experiment durchführten, unter größter emotioneller Anspannung und hatten das Gefühl, dass wir bereits ein großes Risiko eingegangen waren. Nichtsdestoweniger war es für uns alle klar ersichtlich, dass wir eine zu niedrige Spannung benutzt hatten. Deshalb wurde der Vorschlag gemacht, dass wir dem Patienten etwas Ruhe erlauben und das Experiment am nächsten Tag wiederholen. Doch plötzlich sagte der Patient, der unserer Unterhaltung offensichtlich gefolgt war, deutlich und ernst ohne den vorherigen Unsinn: "NICHT NOCH EINEN, ES WÄRE TÖTLICH!" "Hierzu meint die Kommission, dass diese Worte des ersten Patienten allen Schockbefürwortern eine Mahnung sein und niemals vergessen werden sollten.

 

Ernest Hemingway, einer der besten Novellisten unseres Jahrhunderts, erhielt 1961 zwei Elektroschockserien und schrieb daraufhin einem Freund: "Sie nehmen mir mein Gedächtnis weg und zerstören mir meinen Lebensinhalt. Ich habe nichts zum Leben, wenn ich nicht schreiben kann." Aus der Sicht der Psychiater war es eine ausgezeichnete "Behandlung", doch sie verloren den Patienten dabei. 30 Tage nach der Behandlung beging Hemingway Selbstmord - eine Kur mit dem Holzhammer.

 

Die Münchner Kommission arbeitet an einer umfangreichen Dokumentation über Schäden bei der Elektroschockbehandlung. Diese Dokumentation soll in Kürze an Politiker herangetragen werden, um ein gesetzliches Verbot der Schockbehandlung zu erreichen.

 

 

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Die KVPM wurde 1972 in München von Mitgliedern der Scientology Kirche gegründet und gehört zum weltweit größten Netzwerk zur Aufdeckung von Missbräuchen in der Psychiatrie.