Psychiatrie kontra Rentnerin

Ohne Wissen Mutter unter fremder Pflegschaft

 

21.6.1976

 

Weil sie sich nicht untersuchen lassen wollte, musste sie zur "Schocktherapie" nach Haar.


In ihrem Leben nicht leicht gehabt, hat es Frau Elisabeth D. (aus München). Als Serviererin hatte sie ein Leben lang schwer arbeiten müssen, um ihre drei Kinder großzuziehen.

 

61 jährig kam die alte Dame ins Altenheim an der Tauernstraße in München. Sie hätte sicher noch einen ruhigen Lebensabend verbracht, wenn die Frau nicht einen kleinen, aber verhängnisvollen Fehler gehabt hätte. Sie mochte keine ärztlichen Untersuchungen und argwöhnte allen Krankenhäuser.

 

Eine Untersuchung im Altenheim lehnte die Frau strikt ab. Der Arzt hielt jedoch eine Untersuchung der Frau für unbedingt notwendig. Tochter und Sohn begaben sich deshalb zu ihm und nach Angaben des Sohnes sagte der von der Kunstfertigkeit der Psychiater überzeugte Heim-Arzt, dass die Mutter nach "Haar" hinaus müsse. Denn dort würde sie unter "Schocktherapie" gesetzt und erst so könne man sie dann untersuchen.

 

Die etwas wunderliche alte Dame wurde nach Haar transportiert - doch was ihr dort widerfuhr, dem war die früher so lebenslustige Frau nicht mehr gewachsen. Sie ist heute 4 Monate dort und die Angehörigen sehen keine Chance mehr, dass sie die Anstalt jemals wieder verlassen kann. Sie lag Monate angeschnallt im Bett.

 

Nach dem Artikel im "Stern", der an Haar nicht spurlos vorüberging, hatte man ihr allerdings die Fesseln um ihre Füße gelöst, so dass die Frau zunächst nur noch Riemen über den Bauch hatte, die sie ans Bett banden. Auf Verlangen des Sohnes wurden auch diese vor wenigen Tagen gelöst. Seitdem liegt sie in einem vergatterten Bett. Ihre Kinder kann sie nicht mehr erkennen. Sie faselt wirres Zeug, wenn sie am Bett stehen: "Nein, Schwester, bitte nicht ...nein, bitte nicht ...habe Hunger...usw." Heute hat sie mindestens 20 Pfund abgenommen, sagt der Sohn.

 

Ihre Kinder sind schockiert.

 

Die Tochter fragte eine Krankenschwester, wieso die Mutter blaue Flecken an den Oberschenkeln und Unterarmen, eine blutige Nase hätte, außerdem würden ihr oben 3 oder 4 Zähne fehlen, "die waren doch noch in Ordnung". Die Krankenschwester teilte mit, dass Frau D. hingestürzt sei. Der Sohn, Herr D., will dies nicht glauben. "Ich verstehe das gar nicht. Im Altenheim ist sie den ganzen Tag auf den Beinen gewesen und nie hingefallen." In der Familie rätselt man, wie der Sturz wohl ausgesehen haben mag, um sich Verletzungen an so vielen unterschiedlichen Körperstellen zuzuziehen.

 

Obwohl die Frau nun völlig abwesend und apathisch ist und nicht mal mehr ihre eigenen Kinder erkennt, wird sie von diesen ständig besucht. Wenn sie nicht gerade völlig weggetreten ist, und mühsam sprechen kann, hat sie oft nur ein Verlangen .... Hunger. Dazu der Sohn: "Sie sagt immer, sie hat Hunger. Von früher kenne ich das gar nicht. Dann habe ich einmal vier Paar Wiener und ein paar Semmeln mitgenommen und das war in zehn Minuten weg."

 

Weniger lustig ist, dass Frau D. auch schon stundenlang in ihren eigenen Exkrementen lag. Am Sonntag, dem 25.4., fand der Sohn die Mutter völlig veruriniert im Bett und schon halb wieder trocken. "Ich hatte den Eindruck, da ist nicht nur einmal rein gemacht worden". Außer Urin hat sie eitrige Ausflüsse. Die Bestellung eines Frauenarztes dauerte eine Woche.

 

Soviel Missstand und Nachlässigkeit wollte Herr D. nicht länger mit ansehen. Am 29.4. wandte sich Herr D, in einem hilfesuchenden Schreiben an die "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e. V." (in München). Von der Kommission befragt, ob Anstrengungen unternommen wurden, die Frau dort wieder herauszuholen oder ob sie bereits entmündigt sei, äußerte sich Herr D.: "Rausholen hätte ich sie in den ersten 14 Tagen müssen, das hat jetzt keinen Zweck mehr. Ich kann mich ja nicht einmal mehr mit ihr unterhalten. Von Entmündigung weiß ich überhaupt nichts. Ich habe gesagt, kommt gar nicht in Frage. Ich hatte Frau Dr. Schulz in "Haar" gefragt, wie das wäre mit Vormundschaft und so, und sie sagte, das regele sich dann." Wie sich das von alleine in der "Haarer" Anstalt regelt und wie schnell, das sollte Herr D. Monate später bitter erfahren. Noch am 29.4. hatte Herr D, in seinem Hilferuf
an die Kommission geschrieben: "Bis heute habe ich aber vom Krankenhaus Haar nichts gehört, weder einen genauen Befund über den Gesundheitsstand meiner Mutter, noch etwas über ihren weiteren Verbleib. Meine Mutter hat z.B, bis heute keinen Vormund, auch weiß ich nicht, wie die finanzielle Seite weiterläuft,...".

 

Auf dringendes Anraten der Kommission setzte sich Herr D, am 25.5. mit der Haarer Ärztin (Frau Dr. Schulz) telefonisch in Verbindung. Herr D. wollte endlich Klarheit über seine Mutter haben und was mit ihr passiert war. Doch auch als nächsten Angehörigen wollte man ihn nicht über die angeblichen Hintergründe und die Krankheit seiner Mutter aufklären. Herr D. wurde barsch, so dass auch die Ärztin nicht hinterm Berg hielt und einschüchternd drohte, dass er die Mutter auf der Stelle holen könne, falls ihm etwas nicht passe, und er dann zusehen kann, was er mit ihr macht. In ihrer Aufregung verschwieg sie ihm allerdings nicht, dass die Mutter bedingt entmündigt sei und bereits seit dem 15.3, einen Pfleger hat. Seit über 2 1/2 Monaten hatte man schon die Mutter ohne Wissen und ohne Kenntnis der Kinder unter fremde Pflegschaft gestellt, obwohl beide Töchter in Haar wohnen und zweimal die Woche regelmäßig ihre Mutter besuchen.

 

Die Pflegschaft war einfach einer Münchner Rechtsanwältin übertragen worden, die für solche Aufgaben schon oft in Anspruch genommen wurde. Herr D, erfuhr dies über das Vormundschaftsgericht. Dort belehrte man Herrn D, übrigens auch, dass solche Pflegschaften öfters ohne Wissen der Angehörigen von Haar beantragt werden und zwar dann, wenn die Patienten nicht mehr ansprechbar sind.

 

Die Kommission hält das Haarer Vorgehen für sträflich. Ein Sprecher betont: "Die Angehörigen hätten über den Zustand der Mutter aufgeklärt gehört, ganz gleich, was passiert war und wenn Haar sich dabei selbst hätte anklagen müssen. Zweitens hätten unbedingt die Angehörigen wegen Übernahme einer Pflegschaft gefragt werden müssen, bevor sie wildfremden Menschen übertragen wird. Auf diese Weise können Haarer Ärzte ja jedermann eine Pflegschaft anhängen. Diese Fälle könnten sich häufiger ergeben."

 

Man kann davon ausgehen, dass die verordnete "Schocktherapie" in Haar, was immer sie beinhaltete, die Situation von Frau D, und ihre Angst vor den weißen Kitteln nicht gebessert hat. Sie wurde zum Schockerlebnis für Mutter und Kinder. Auch wenn der Sohn der Mutter nicht mehr viel Hoffnung gibt, geht es ihm heute um mehr. "Ich meine, es geht nicht nur um meine Mutter, sondern um soundsoviele andere auch."

 

Währenddessen liegt aber Frau D. noch immer im vergatterten Bett, aus dem sie wahrscheinlich nicht mehr herauskommt. Welche Ironie des Schicksals, denn vor Krankenhäusern hatte sie ein Leben lang besonders große Furcht gehabt. Mitgenommen hatte sie nur ein Kleid, das sie anhatte und eine Handtasche, weil sie dachte, dass sie gleich wieder gehen könnte. Nun ist auch schon ihr Platz im Altenheim an andere vergeben.

 

Der Sohn hat inzwischen (in München) beim Vormundschaftsgericht Antrag gestellt, die Pflegschaft seiner Mutter auf ihn zu übertragen. Sobald er dies erreicht hat, so sagt Herr D., will er "Haar" verklagen. Mit seinem Anwalt, Dr. Heindl, hat er sich bereits besprochen.

 

 

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Die KVPM wurde 1972 in München von Mitgliedern der Scientology Kirche gegründet und gehört zum weltweit größten Netzwerk zur Aufdeckung von Missbräuchen in der Psychiatrie.