Klinikdirektoren kümmern sich nicht um das Los der psychisch Kranken
Pressemitteilung vom 28.1.1976
In dem Prozess gegen Helga K., die in Waiblingen ein privates Altersheim leitete, wird bereits nach vier Verhandlungstagen deutlich, dass niemand für die schweren Misshandlungen der wehrlosen Heiminsassen verantwortlich sein möchte. Das Gericht hält sich bei der Schuldfeststellung an die 52jährige Ex-Heimleiterin. Niemand hat bisher die Frage gestellt welche Verantwortung dabei die Psychiater hatten, als sie Patienten aus den Landeskrankenhäusern Zwiefalten und Winnenden in die Hände einer Heimleiterin gaben, die noch nie theoretischen Unterricht erhalten hatte und von Beruf gelernte Fleischwarenverkäuferin war.
Die Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte stellt nach einer Analyse des jetzt erschienen Berichtes zur Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik fest: "Schwester Helga ist kein Einzelfall. Pfleger sind häufig selbst gescheiterte Existenzen". Der Bericht offenbart: "in den Heimen und Anstalten für geistig Behinderte und chronisch psychisch kranke besitzen nur 18,7% der Pfleger eine staatliche Anerkennung. Der Anteil des Pflegepersonals die sogar keinerlei Berufsausbildung haben, ist extrem hoch. Er beträgt dort 48,8%. d.h. beinahe die Hälfte der Pflegekräfte weiß nicht mit dem schweren Los seelisch Behinderter, die aufgrund ihres Leidens sowieso schon benachteiligt sind, umzugehen,
Dir Kommission meint: "Aus diesem horrenden Unwissen wächst eine menschenfeindliche Atmosphäre in solchen Anstalten und Heimen, wobei sich der Kranke hilflos ausgeliefert sieht". Vor Gericht hörte man jetzt vier Zeugen, die die Angeklagte entlasten sollten. Zwei Seelsorger, eine Kosmetikerin und die Geschäftsinhaberin eines Friseurgeschäftes, die alle übereinstimmend aussagten, bei ihren sporadischen Kontakten mit den Heiminsassen nichts unnormales bemerkt zu haben.
"Es erhebt sich die Frage, wer die medizinische Betreuung im Altersheim "Schwester Helga" durchzuführen hatte und welche Verantwortung dabei die zuständigen Psychiater zu tragen haben, die meistens jenen Anteil der Patienten aus ihren Mamutanstalten in Heime wie das der "Schwester Helga" überweisen, die oft schon länger als 10 Jahre in den Landeskrankenhäusern verwahrt wurden. Laut Bericht zur Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik fallen unter den Personenkreis, die sich lebenslänglich oder zumindest über 10 Jahre in Anstalten oder Heimen aufhalten 31% der Patienten. Es ist nicht verwunderlich, wenn sich die Klinikdirektoren der Landeskrankenhäuser Zwiefalten und Winnenden der Verantwortung, gegenüber den überwiesenen Patienten entziehen. Sie entgehen dadurch der öffentlichen Kritik, die eigentlich bei den medizinisch Verantwortlichen einsetzen sollte, da es ihre Aufgabe und Pflicht ist, den psychisch Kranken zu helfen. Doch laut Erfahrungsberichte der deutschen Akademie für Psychoanalyse, die in drei Forschungs- und Lehrinstituten zusammengetragen wurden, ist die Situation in fast allen Bundesländern bereits makaber zu nennen. Im Landeskrankenhaus Berlin ließ sich von Dr. Regine Schneider aus eigener Anschauung erfahren: "Einmal im Jahr tauchte der klinische Direktor bei der Weihnachtsfeier für fünf Minuten bei Ärzten und Patienten auf, sonst beschäftigte er sich mit dem Entwurf eines Rahmengesetzes zur Verhinderung jeglicher Veröffentlichungen aus psychiatrischen Anstalten, was aber scheiterte, da des Gesetz gegen das Grundgesetz verstieß. Chefärzte erschienen kaum, da sie an lukrativen Gutachten arbeiteten. Viele Pfleger kapselten sich ab und bemerkten selbst den Tot von Patienten nicht."
Nach den Vorstellungen der Sachverständigenkommission spricht man jetzt, in dem Bericht zur Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik folgende Empfehlung aus: "In allen Ländern sollte, soweit nicht schon geschehen, eine formalrechtliche Bestimmung über die Postkontrolle bei untergebrachten psychisch Kranken getroffen werden."
Die Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte sieht darin einen Versuch, Patienten mundtot zu machen. Rund 160 000 Insassen in der psychiatrischen Anstalten und Heimen würde dadurch das Recht verwehrt, Beschwerden ihren Angehörigen und Bekannten mitzuteilen. "Es wäre zu bedenken, "Schwester Helga" hätte wahrscheinlich ihr privates Altersheim nicht so lange betreiben können, wenn sie nicht bereits die Briefzensur teilweise durchgeführt hätte. Durch eine Briefkontrolle würden die Hilferufe wegen Misshandlungen kurzerhand unterschlagen und die Patienten könnten sich nicht mehr mit Beschwerden an zuständige Stellen wenden, um sie zur rechten Zeit beweiskräftig untersuchen zu lassen. Vielmehr wäre die Angst der Kranken noch größer, vor der Rache jener, die ihre Briefe kontrollieren".
Es ist schwierig, in einem Prozess die wirklich Schuldigen zu finden, wenn sich die Psychiater mit Achselzucken ihrer Verantwortung entledigen und sie jetzt vom Gericht einer ungelernten Heimleiterin voll auferlegt wird. Es ist noch weitaus schwieriger, die Wunden der Misshandlungen im Nachhinein festzustellen, wo doch die wirklichen Zeugen zum größten Teil nur psychisch Kranke sind, Ausgestoßene, sogenannte Geisteskranke, die sowieso nur als halb zurechnungsfähig gelten.
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Die KVPM wurde 1972 in München von Mitgliedern der Scientology Kirche gegründet und gehört zum weltweit größten Netzwerk zur Aufdeckung von Missbräuchen in der Psychiatrie.