Kommission für Verstöße der Psychiatrie entlarvt Psychiater:

Öffentlichkeit hinters Licht geführt

 

6.4.1976

 

Arbeits- und Soziaministerium wollte Beschwerdeinstanz "ad acta" legen

 

In einer Vor-Ort-Umschau hatte die Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V. vor wenigen Wochen in Unterredungen mit den Leitern von Anstalten für psychisch Kranke im Rems-Murr-Kreis mancherlei  Merkwürdiges ermittelt: so einen Beschwerdeweg, der nicht unabhängig ist, sondern bei dem eine an die Behörde gerichtete Beschwerde an den Psychiater oder Anstaltsleiter zur Stellungnahme zurückgeschickt wird.

 

"Solche Stellungnahmen", so die Kommission, "sind meist dazu geeignet, Beschwerden von Patienten zu entkräften, da eine Anstalt wohl selten Aussagen machen oder gegen sich selbst vorgehen wird. Sie bieten darum kaum eine Chance für ein Vorgehen der Behörden gegen. Missstände". Dies hatte die Kommission öffentlich festgestellt, und deshalb die Schaffung einer unabhängigen Beschwerdeinstanz gefordert.

 

Diesen Ermittlungen aus den persönlichen Gesprächen der Kommission mit den Anstaltsleitern ausgesetzt, traten die Psychiater der Winnender Anstalt mit der Flucht nach vorne entgegen. Der Direktor des Psychiatrischen Landeskrankenhauses Dr. Längle bezeichnete in einer jüngst abgehaltenen Pressekonferenz die Vorwürfe der Kommission als "unsinnig und verlogen". Den anwesenden Pressejournalisten gegenüber behauptete er, "jeder psychisch Kranke hat das Recht zur Beschwerde". Den Beweis dafür blieb er der Öffentlichkeit jedoch schuldig. Stattdessen attackierte er die Kommission mit unqualifizierten Ausdrücken, die sich jetzt als Verschleierungstaktik erweisen.

 

Um dieser Irreführung von Behörde und Öffentlichkeit ein Ende zu bereiten, traten die Kommission für Verstöße der Psychiatrie e.V. und die Deutsche Liga für Menschenrechte e.V. jetzt den Gegenbeweis an. Sie wollten Wahrheit und Dichtung trennen und verweisen daher nun auf das "Baden-Württembergische Gesetz über die Unterbringung von Geisteskranken", das einem Anstaltsleiter von Amts wegen wohl bekannt ist. Hier heißt es in § 8 über die Unterbringung in Kranken- und Pflegeanstalten bezüglich der Briefkontrolle: "Die Briefkontrolle' ist auf Grund der Anstaltsgewalt zulässig". Da hinsichtlich des Umfanges der Briefkontrolle das Gleiche gilt wie in Hessen, verweist das Gesetz dazu auf § 18 HFEG (Hessisches Freiheits Entziehungsgesetz): "Das Zensurrecht der Ärzte ist unbeschränkt. Dies ergibt sich für die eingehenden Briefe klar und unmissverständlich. Auch die Briefe, die Untergebrachte an ihren Anwalt oder an die Aufsichtsbehörde der Anstalt richten, unterliegen der Zensur. Gerade solche Briefe sind für den Arzt oft aufschlussreich und die Kenntnis des Inhalts für die Erreichung des Unterbringungszweckes erforderlich". Das Gesetz stellt weiterhin fest, dass das Recht zur Briefkontrolle nur den durch die Anstaltsordnung bestimmten Psychiatern gewährt ist, nämlich die von einem Untergebrachten zur Beförderung abgegebenen und die an ihn gerichteten Briefe einzusehen. "Angesichts dieser Tatsachen", so Kommissionssprecher Kromer, "kann man die Aussage von Dr. Längle, dass jeder psychisch Kranke das Recht zur Beschwerde habe, wirklich nicht anders als unsinnig und verlogen bezeichnen. Auch die Aussage seines Stellvertreters Dr. Lang, die Briefzensur werde in Winnenden schon seit über 20 Jahren nicht mehr durchgeführt, muss als unqualifiziert und verführend zurückgewiesen werden. Hier wird offensichtlich versucht, alle Beteiligten im Bemühen um mehr Rechte für psychisch Kranke - die Presse, die Behörde und die Öffentlichkeit - mit Absicht hinters Licht zu führen. Die - verständlicherweise - mangelnde Fachkenntnis der Öffentlichkeit im Paragraphendschungel der Psychiatrie wird hier als willkommener Anlass schamlos ausgenutzt, um die nicht vorhandenen Rechte psychisch Kranker zu verschleiern".

 

Wie die Kommission in einem Gespräch mit dem zuständigen Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung feststellen konnte, genügte offensichtlich ein öffentliches Dementi auf die Vorwürfe der Kommission, um die Diskussion über eine gesetzliche Verankerung von mehr Rechte für psychisch Kranke und eine unabhängige Beschwerdeinstanz abzuwürgen. Ministerialrat Dr. Sautter zeigte sich erstaunt über eine entsprechende Anfrage der Kommission, "denn inzwischen sei doch alles geregelt", so Dr. Sautter, und verwies dabei auf die kürzlich stattgefundene Pressekonferenz des PLK in Winnenden. Durch den unermüdlichen Einsatz der Kommission veranlasst, wird jedoch das Problem einer unabhängigen Beschwerdeinstanz und der von der Kommission bereits Mitte Februar eingereichte Interventionsbericht inzwischen, so Dr. Sautter, in mehreren Abteilungen des Arbeits- und Sozialministerium in Stuttgart bearbeitet. "Das ernsthafte Bemühen der letzten Wochen beginnt seine Früchte zu tragen", bemerkte Kommissionssprecher Kromer. "Politische Kosmetik, wie sie in den Wochen von manchen Seiten betrieben wurde, hat noch nie zu einem Ergebnis geführt". Ministerpräsidenten Filbinger hat das Ministerium für Arbeit und Sozialordnung gebeten, dass er über die Stellungnahme zum Interventionsbericht der Kommission unterrichtet wird.

 

 

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Die KVPM wurde 1972 in München von Mitgliedern der Scientology Kirche gegründet und gehört zum weltweit größten Netzwerk zur Aufdeckung von Missbräuchen in der Psychiatrie.