Heftige Proteste gegen die neue "Burg" in Haar

 

München, den 22.9.1976

 

In Haar zog man letzte Woche heimlich um


"Wie in einem Grab lebendig begraben", schilderte gestern eine empörte Familie der Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V. den neuen Aufenthaltsort ihres Sohnes in der jetzt bezogenen neuen "Burg" (Haus 21) in Haar.

 

"Seit Monaten sitzt er als straffällig gewordener Süchtiger ohne jede Therapie und im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte eingesperrt zwischen schwerstkriminellen Psychopathen und Vollidioten. Bald wird es ein Jahr sein, und noch immer ist nichts passiert, außer dass unserem Sohn der Wille gebrochen ist und er als Mensch dort drin verkrüppelt".

 

Heimlich und völlig unbemerkt von der Öffentlichkeit hatte sich in Haar letzte Woche der Umzug der geisteskranken Kriminellen vom Haus 22, der so genannten Ersatzburg, in die mit 2,8 Millionen Mark renovierte "Burg" vollzogen. Sie gleicht mit ihren raffinierten Sicherheitseinrichtungen einer mittelalterlichen Festung der "Unmenschlichkeit" mehr, als irgendeiner therapeutischen, geschweige denn medizinischen Einrichtung des zwanzigsten Jahrhunderts.

 

Bereits am Montag, nachdem am Wochenende die ersten Besucher die neue "Burg" gesehen hatten, gab es energische Proteste bei der Münchner Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V.

 

Wie Angehörige der Kommission gegenüber versicherten, sind die Zustände der neuen Burg noch weit unmenschlicher und erschreckender als man bisher überhaupt anzunehmen gewagt hatte. Sie wurden von ihnen folgendermaßen beschrieben:


Inzwischen hat die Kommission auch in Erfahrung gebracht, dass die "Schwarzen Sheriffs" in Zukunft durch Justizvollzugsbeamte und Polizisten ersetzt werden sollen. Grund für diese Sinneswandlung, so wird vermutet, soll das schlechte Öffentlichkeitsbild sein, dass die "Schwarzen Sheriffs" durch ihre Erscheinung in Haar bei den Angehörigen der Patienten und in der Bevölkerung auslösten und wogegen die Kommission von Anfang an aufs heftigste protestiert hatte. Fast ein Jahr lang will man die "Sheriffs" in Haar trotzdem noch belassen, denn solange läuft ungefähr ihr Vertrag und bis dahin will man die eigene Wachmannschaft ausgebildet haben.

 

Die Kommission appelliert an die Psychiater in Haar: "Wann endlich gehen sie daran Steuergelder und Ideen in eine therapeutische Mannschaft zu investieren, anstelle immer nur neue Sicherheitsvorkehrungen zu ersinnen. Denn ob "Sheriffs" oder Justizvollzugsbeamte, davon werden die psychisch Kranken in der "Burg" nicht rehabilitiert". Die Kommission will deshalb in Kürze einen Bericht erstellen, worin sie auf die verheerenden Versorgungslücken und völlig fehlenden therapeutischen Maßnahmen hinweisen wird.

 

 

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Anlage:

 

Beschreibung der neuen "Burg" durch Angehörige

 

Protokoll eines Tonbandinterviews

 

Zwischen morgens 8 Uhr bis abends 7 Uhr sind alle Insassen gezwungen sich in einem Tagesraum aufzuhalten. Bis zu 50 Insassen sollen sich in dem Tagesraum befinden. Gegenseitig sollen sich stark kriminelle Psychopathen, Vollidioten, Schwerstbehinderte und straffällig gewordene Süchtige, die im vollen Besitz ihrer geistigen Kräfte sind, die Nerven ruinieren, da sie den ganzen Tag in einem Raum verbringen müssen. Keiner darf die Zwei- bis Vierbettzellen tagsüber betreten. Erst ab 19 Uhr ist es den Insassen das erste Mal erlaubt ihre Zellen aufzusuchen und dann erst wieder um 22 Uhr. Dazwischen dürfen die mit Gittern abgesperrten Zellen nicht betreten werden.

 

Im Besucherraum ist eine Verständigung fast völlig unmöglich. Von einem Tresen mit beachtlicher Tiefe auf beiden Seiten erstreckt sich eine Glaswand bis zur Decke. Hüben und drüben von dem Tresen befinden sich am Boden verankerte Sitzhocker. In der Glaswand befinden sich Sprechöffnungen die aber jeweils auf beiden Seiten vergittert sind. Eine menschliche Berührung der Angehörigen mit den Insassen ist vollkommen ausgeschlossen. Auch sollen die Sprechöffnungen so hoch angebracht sein, dass jeder Besucher fast brüllen muss, um sich mit den Insassen hinter Glas verständigen zu können. Es soll unmöglich sein von der Sitzposition aus sich mit dem Gegenüber in einer normalen Lautstärke überhaupt zu unterhalten. Da alle Besucher in einer überstarken Lautstärke sprechen müssen, schneiden sich die Besucher gegenseitig das Wort ab; dieser Zustand ist unhaltbar und zutiefst degradierend. Es wird vorgehalten, dass die Maßnahmen vielleicht sogar beabsichtigt eingeführt wurden, damit anwesende Wärter die Gespräche mithören können.

 

Der Tagesablauf der Insassen wird folgendermaßen angegeben:
Man spielt Karten, schreit rum, schreit sich gegenseitig an. Ab und zu gibt es auch Schlägereien. Die meisten Insassen sind vollgestopft mit Psychopharmaka und hocken ganz einfach nur da und sind kaum ansprechbar. Irgendeine sinnvolle Beschäftigung individueller Art, wie z.B. lesen, ist in der Umgebung von vornherein ausgeschlossen. Man ist nie allein und kann sich bei der allgemein vorhandenen Lautstärke nicht konzentrieren. Der einzige Zeitvertreib vieler Insassen besteht im übersteigerten Zigarettenkonsum, d.h. manche Insassen werden zwangsläufig zu Kettenrauchern und Nikotinsüchtigen. Laut Aussage eines Angehörigen sollen die Insassen durch ihre Umgebung total zerstört werden. Versuche, wegen dieser Zustände mit dem Arzt zu reden, bleiben ergebnislos. Dr. Witschikowski, der zuständige Arzt für die Burg, rund 50 Jahre alt, der sich rühmt seit über 25 Jahren im psychiatrischen Dienst zu stehen und seine Erfahrungen gesammelt zu haben, äußerte sich kaltherzig gegenüber einem der Angehörigen, indem er sagte, dass die Insassen in der Burg bestens aufgehoben seien und 80% sowieso Rückfälle seien, die es ja gar nicht anders wollen.

 

Besuchszeiten sind generell nur vormittags zwischen 10 Uhr und 11.30 Uhr, eine Zeit, in der normal arbeitende Menschen keine Möglichkeit zu Besuchen haben. Mit dem Umzug sind auch die "Schwarzen Sheriffs" in die neue "Burg" mit eingezogen. Man tritt durch eine elektronisch geöffnete Tür in einem Vorraum, wo sich neben zwei männlichen "Schwarzen Sheriffs" auch eine Frau in der berüchtigten schwarzen Uniform befindet. In diesem Vorraum wird der Besucher auf alles durchsucht und muss sich auch der kleinsten Habseligkeiten entledigen. In der Praxis sieht das so aus, dass auch Taschentücher und Zigarettenschachteln durchsucht und auseinander genommen werden. Mitbringsel, wie Kuchen und Süßigkeiten dürfen nicht mit hineingenommen werden. Briefe, die man mitbringt, werden geöffnet und nach Begutachtung ausgehändigt.

 

Den Insassen im Haus ist jeglicher Blick nach außen verwehrt, Wie das berühmte Brett vor dem Kopf befindet sich im Abstand von wenigen Metern vor den zusätzlich noch stark vergitterten Fenstern eine rund 6 Meter hohe glatte Betonmauer, die bis unters Dach reicht. Von Natur und Wechsel der Jahreszeiten lässt sich für den Insassen nichts wahrnehmen.

 

Es wird berichtet, dass Geburtstagsglückwünsche, von Angehörigen auf eine offene Postkarte geschrieben, in einem Fall erst mit einmonatiger Verspätung dem Insassen ausgehändigt wurde.

 

Dr. Witschikowski antwortete auf die Vorhaltungen eines Angehörigen, dass sich der Insasse in der Burg in denkbar schlechter Umgebung befinde und warum man nicht zwischen dem Einzelnen differenziere, folgendes: "Draußen ist man auch mit solchen Leuten zusammen, das muss man hier auch lernen, damit fertig zu werden. Man muss diesen Einflüssen Widerstand leisten."

 

Auch beschwerten sich Insassen bei den Angehörigen, dass sie nicht schlafen könnten, weil bei Nacht alle halbe Stunde die Flutlichtanlage angeschaltet wird und die Schlafsuchenden blendet. Nicht einmal Vorhänge gibt es, um sich vor diesen angeblichen Sicherheitsmaßnahmen zu schützen. Die Insassen empfinden dies als Schikane.

Telefongespräche von Angehörigen in die Burg werden wie bisher weiterhin nicht gestattet.

 

Insassen beschweren sich über gruppendisziplinäre Pauschalstrafen. So soll es, wenn beim Nachzählen der Essensbestecke z.B. ein Löffel fehlt, für alle eine Woche Fernsehverbot als Strafe geben, auch soll es zu einwöchigem Zigarettenverbot kommen, wenn Zigarettenasche auf den Boden gestreut wird. Unter teilweisen Vollidioten, die tollpatschig um sich schlagen, so beschwert man sich, wird das wohl nicht immer vermeidbar sein.

 

Während in der alten Burg gleichgesinnte Insassen, die sich in ihrer geistigen Beweglichkeit einander entsprachen, vorher die begrenzte Möglichkeit hatten, im gemeinsamen Schlafsaal eine Einheit zu bilden, hat man diese jetzt gewaltsam auseinander gerissen und laut Aussage eines Beschwerenden jeweils mit Schwerstbehinderten in Zellen zusammengesperrt. Angeblich soll dies den Sicherheitsvorkehrungen dienen.

 

Überwacht wird der herannahende Besucher schon von außen. Erspäht von einem Monitorauge am Eingang begibt sich der elektronisch erfasste Besucher nach drinnen. Auch innen wird die Lage vom Bildschirm mittels elektronischem Auge bis in die intimsten Bereiche der Schlafzellen kontrolliert.

 

 

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Die KVPM wurde 1972 in München von Mitgliedern der Scientology Kirche gegründet und gehört zum weltweit größten Netzwerk zur Aufdeckung von Missbräuchen in der Psychiatrie.